Am 4. Dezember, mitten in der dunklen Jahreszeit, feiern wir einen Brauch, der tief in unseren kulturellen Wurzeln verankert ist: das Schneiden der Barbara-Zweige. Was wir heute mit der Heiligen Barbara verbinden, geht zurück auf die uralte Göttin Borbeth, die in der vorchristlichen Zeit als eine der „drei Bethen“ verehrt wurde.
Borbeth war eine Göttin des Lebens und des Todes, der Wärme und des Schutzes. Sie wachte über Übergänge – von der Geburt bis zum Tod, vom Dunkel ins Licht und zurück. Ihr Symbol, der Turm, galt als Verbindung zur Anderswelt und Sinnbild für Veränderungen – in der Natur ebenso wie im menschlichen Leben.
Wie auch die anderen Bethen Wilbeth (Katharina) und Ambeth (Margarethe) wurde die alte Muttergöttin Borbeth von der katholischen Kirche in eine der Nothelferinnen, auch die „drei heiligen Madl’n“ genannt, umgewandelt. Die Verehrung der Göttin wurde nicht ausgelöscht, sondern in eine neue Form gegossen, die ins christliche Weltbild passte.
An die Stelle der weisen Göttin trat die Märtyrerin Barbara, die für ihren Glauben gefangen genommen und getötet worden sein soll. Doch die Kraft der ursprünglichen Göttin blieb im Brauchtum erhalten – besonders im Ritual des Zweigschneidens, das uns heute noch durch die dunklen Wintermonate begleitet.
Die Blüten der Barbara-Zweige sind ein Sinnbild für das Leben, das im Verborgenen weiterwächst, unbemerkt von der Oberfläche, doch unaufhaltsam in seinem Werden. Sie kündigen den Neubeginn an, der mit der Wintersonnenwende naht, und erinnern uns an die Macht der Hoffnung. Sie sind aber auch Symbole der alten Göttin, die sich zu dieser Zeit vom schwarzen in den weißen Aspekt wandelt – von der weisen Alten zur jungen Lichtbringerin.
Die Farben der dreifachen Göttin – Schwarz, Weiß und Rot – leben in den Zweigen weiter: die dunklen Äste für das Unvergängliche, die weißen Blüten für das Erwachen und die roten Früchte, die einst daraus entstehen, für die voll entfaltete Lebenskraft.
Wenn ich mir die Barbara-Zweige heute ins Haus hole, ist das für mich ein kleines Stück Heimkehr zu den alten Rhythmen und Weisheiten, die immer schon Teil unseres Lebens waren – und auch in uns selbst weiterleben. Ich fühle mich angebunden an etwas, das viel Größer und Älter ist als ich selbst und mich daran erinnert, dass auch in Zeiten des scheinbaren Stillstandes das Leben unaufhörlich weiterwächst.
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