Du bist etwa 2 Jahre alt. Das ganze Leben ist für dich ein tägliches Wunder.
Dein Körper ein unglaublich vielseitiges Instrument, das dir die verschiedensten Sensationen liefert.
Deine Gefühle, die dich mit einer Wucht überfallen, die du nicht steuern kannst.
Für dich gibt es nur das Jetzt, den gegenwärtigen Augenblick, alles andere existiert nicht. Du hast keine Bremse eingebaut.
Du spürst dich selbst im Spiegel deiner Mitmenschen- deine Eigenwahrnehmung entsteht durch die Reaktionen deiner Umwelt auf dich. Du hast bereits erfahren, dass manche deiner Gefühle und Aktionen von Anderen nicht wohlwollend aufgenommen werden.
Das verunsichert dich. Du darfst das Wohlwollen deines Rudels nicht verlieren, denn das würde deinen sicheren Tod bedeuten, das hast du als uraltes Wissen in deinen Zellen abgespeichert.
Also beginnst du, dich anzupassen.
Deine Mutter hat oft Kopfschmerzen, es wird von dir verlangt, ganz ruhig und leise zu sein. Dein Vater telefoniert viel und ist sehr ungeduldig, und du lernst, die Sehnsucht nach ihm vor dem Fernseher zu vergessen.
Man sagt dir immer wieder, du seist zu laut, zu wild, zu fordernd, zu schlimm, zu lästig, zu frech, zu viel.
Im Kindergarten sollst du sitzen und am Tisch spielen. Du möchtest lieber deinen Körper spüren, mit anderen Kindern deine Kräfte messen, in die Pfützen springen, aber da wirst du ausgeschimpft.
In der Volksschule hast du dann schon ziemlich verstanden, wie sie dich haben wollen. Du hast dich ganz gut unter Kontrolle. Du hast beschlossen, nicht zu rebellieren. Der Schmerz, den du durch die Ablehnung, die Zurückweisung, das Ausgelacht und Ausgegrenzt- werden bereits erlitten hast, hat sich in deine Seele eingebrannt.
Du kommst angepasst gut zurecht.
Je älter du wirst, desto mehr wirst du dir deiner Begrenzungen bewusst. Immer wieder hast du das Gefühl, nicht durchatmen zu können. Du hast eine Mauer um dich aufgebaut.
Du hast Angst, dich so zu zeigen, wie du bist. Du fürchtest dich vor dir selbst, weil du spürst, dass in dir Kräfte schlummern, die so riesig und mächtig sind, dass sie alles bis jetzt von dir Gefühlte weit übertreffen. Du hast Angst vor Ekstase, Angst davor, die Kontrolle zu verlieren, weil du nicht weißt, was dann passiert.
Du hast Angst, dass Andere vor dir Angst haben könnten. Du hast Angst, in deine Größe zu gehen, weil du dann dein ganzes bisheriges Lebenskonzept in Frage stellen müsstest. Du hast Angst davor, zu leuchten, weil andere davon geblendet sein könnten.
Du lebst mit der ständigen Furcht, immer noch zu viel, zu laut, zu wild, zu direkt, zu fordernd, zu körperlich, zu was auch immer zu sein.
Irgendwann liest du die Worte von Marianne Williamson:
Unsere tiefste Angst ist nicht, dass wir unzulänglich, unsere tiefste Angst ist, dass wir über die Maßen macht voll sind. Es ist unser Licht, vor dem wir am meisten erschrecken, nicht unsere Dunkelheit. Wir fragen uns: Wer bin ich, dass ich so brillant, großartig, talentiert, fabelhaft sein sollte? Aber wer bist du denn, dass du es nicht sein solltest? Du bist ein Kind Gottes. Dich klein zu halten, dient der Welt nicht. Dich klein zu halten, damit die anderen um dich herum sich nicht unsicher fühlen: das hat nichts mit Erleuchtung zu tun. Wir sind dazu bestimmt, zu leuchten wie Kinder. Wir sind geboren, um die Größe Gottes, der in uns lebt, zu verwirklichen. Und diese Größe ist nicht nur in ei¬ni¬gen von uns, sie ist in jedem Menschen. Und wenn wir unser Licht leuchten lassen, dann geben wir unbewusst anderen Menschen die Erlaubnis, dasselbe zu tun. Wenn wir selbst von Angst frei sind, dann sind die anderen durch unser Dasein auch frei.
Du spürst die tiefe Wahrheit in diesen Zeilen. Etwas in dir beginnt sich zu verändern. Du erkennst deinen Schmerz, du weinst, du schreist, du gehst durch die ganze Dunkelheit.
Du schaust hin und läufst nicht länger weg.
Und langsam wird es immer lichter in dir und um dich.
Du suchst dir ein neues Rudel. Eines, das deinen Schmerz und deine Angst kennt, weil es denselben Weg wie du geht. Das sich miteinander zu noch größerem Wachstum aufschwingt. Wo keiner Angst vor der Größe und dem Licht eines anderen hat, sondern sich darüber freut.
Wo du gehalten wirst, in all deinem Schmerz und deiner Liebe und deiner Ekstase und deinem wilden Selbstausdruck.
Wo du willkommen bist mit allem, was du mitbringst, ohne Zensur, ohne Filter, ohne Weichspüler.
Der Weg ist lang und alles andere als einfach. Doch plötzlich, als du schon gar nicht mehr daran geglaubt hast, wird es ganz leicht und licht und weich.
Du bist frei, und du bist ein pures Geschenk für die Welt.
Leuchte. Bitte. So hell du nur kannst.
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