Ein Blick auf die dunkle Seite des Winters
Als ich ein Kind war, hieß es immer am 5. Dezember, dass der Krampus zu den „schlimmen Kindern“ kommen würde – in der Hand die Rute, am Rücken den Buckelkorb, wo er die unartigen Kinder gleich hineinstecken und als „Geschenk“ Kohlen im Sack mitbringen würde.
Diese düsteren Geschichten über den finsteren Begleiter des Nikolaus waren genauso lebendig wie die winterliche Kälte, die uns jedes Jahr in den Advent begleitete. Ja, ich habe mich immer vor dem Krampus gefürchtet – und vielleicht auch ein bisschen vor der dunklen Seite des Winters, die er verkörperte.
Doch was steckt wirklich hinter dem Krampus, dieser wild-animalischen Figur, die seit Jahrhunderten durch die Alpen zieht?
Die Ursprünge des Krampus sind tief in der Geschichte verwurzelt und reichen weit über die heutige Vorstellung eines teuflischen Begleiters des Nikolaus hinaus.
Der Krampus, der im „Duett“ mit dem heiligen Nikolaus auftritt, nimmt dem hohen Herrn die wild polternden Auftritte und Drohgebärden ab. In Tierfelle gehüllt, mit einem groben Auftreten und teils erotischen Andeutungen, wurde er bald mit dem Teufel selbst in Verbindung gebracht. Vielleicht lässt sich in ihm auch eine Verwandtschaft zu Pan, dem griechischen Gott des Waldes und der Natur, erkennen. Mit seinem wilden Aussehen, dem fürchterlichen Lärm und dämonischem Verhalten sollte der Krampus die Geister des Winters und der Dunkelheit vertreiben.
Von Anfang Dezember bis nach Silvester gibt es in vielen Regionen alte Bräuche, die dem Schutz der Menschen dienen und das Böse abwehren. Zu diesen gehörten laute Geräusche, starke Rauchentwicklung und schrecklich aussehende Gestalten, die die Wintergeister vertreiben sollten. Besonders in den sogenannten Perchtenläufen, bei denen der Krampus eine zentrale Rolle spielt, zieht nicht nur er alleine durch die Straßen, sondern oft eine ganze Schar von „wilden“ Wesen. Interessanterweise tritt der Krampus auch ohne den Nikolaus auf – und tatsächlich hat er eine interessante Verwandtschaft zur alten alpenländischen Muttergöttin, der Percht.
Die Percht, eine doppelgestaltige Göttin, symbolisierte einerseits die kämpferische Kraft gegen die winterlichen Naturgewalten, andererseits aber auch die Hoffnung auf die Rückkehr des Frühlings und die Fruchtbarkeit der Natur. Sie trat sowohl als sanfte, glitzernde, schön anzusehende Göttin als auch als wilde, zottelige, grimmige Gestalt auf – eine perfekte Symbolik für das Gleichgewicht der Natur zwischen Zerstörung und Schöpfung.
In der Dunkelheit des Winters suchten die Menschen ihre Schutzkraft und vertrauten darauf, dass eine weibliche, schützende Energie sie vor den Bedrohungen dieser Jahreszeit bewahren konnte.
Mit der Christianisierung jedoch wurde diese Figur aufgespalten: Der Nikolaus wurde zur gütigen Figur, die belohnt, während der Krampus die Bestrafung der „unartigen“ Kinder übernahm und die erzieherische Funktion bekam, die Menschen wieder auf den moralisch "richtigen", katholischen Weg zu führen.
Der Name „Krampus“ stammt vom griechischen Wort „krampos“, was „ausgedörrt“ oder „verdorrt“ bedeutet – ein Bild für das, was die Natur im Winter darstellt: scheinbar tot und leblos. Und doch ist dieser Zustand notwendig, damit neues Leben im Frühling erwachen kann.
Der Krampus ist also der Zerstörer, aber zugleich auch ein Symbol für die Zyklen der Natur, die ohne die Dunkelheit und den Winter keinen Frühling und keine Fruchtbarkeit hervorbringen können. Die Krampusse, die heute in den Perchtenläufen zu sehen sind, erscheinen als animalische Wesen mit Hörnern, zotteligem Fell und oft auch in Naturtönen – als Symbole für die Wilde Jagd und die Dunkelheit des Winters.
Ein sehr altes Detail ist die Birkenrute des Krampus – eine mit einem roten Band gebundene Rute, die in vielen Bräuchen als Symbol für Reinigung und Strafe gilt. Die Birke ist der einzige Baum, der auch im Winter noch Knospen treibt, ein Symbol für neues Leben. Das rote Band steht für Fruchtbarkeit und den Beginn des neuen Lebens, das nach dem Winter erwachen soll.
Der Krampus trägt außerdem einen Korb oder Sack, in dem er „die schlimmen Kinder“ einsammelt – eine Vision, die in der modernen Wahrnehmung oft als gruselig erscheint. Doch dieser Korb erinnert auch an die Symbolik der Muttergöttin, die alles Leben in sich trägt. Es ist ein Symbol des Lebenszyklus: wie der Kessel der Göttin, aus dem das Leben kommt und in den es zurückkehrt. In den Rauhnächten, jener mystischen Zeit zwischen den Jahren, wird die Percht oft mit der Sammlung der Seelen der Verstorbenen in Verbindung gebracht – ein letzter Akt des Sammelns und der Transformation.
Der Krampus verkörpert das Wilde, das Triebhafte, das, was sich nicht zivilisieren lässt. Er erinnert uns daran, dass in der Dunkelheit auch ungezähmte Kräfte wohnen – Kräfte, die uns zu einem tieferen Verständnis unserer eigenen Natur führen können, wenn wir lernen, sie zu akzeptieren und in den Zyklus von Zerstörung und Erneuerung einzubinden.
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